Jahresfeier 2022

Holzskulptur eines Kopfes in abstrakter Art
Festvortrag von Prof. Dr. Barbara Mittler

21. Mai 2022

Hybridveranstaltung

Präsenz: Für geladene Gäste

Link zum öffentlichen Live-Stream: https://youtu.be/U3-haKPDCrU

Ort: Alte Aula der Universität Heidelberg, Grabengasse 1 / Live-Stream

Beginn: 11:00 Uhr

Festvortrag von Prof. Dr. Barbara Mittler (Heidelberg): "Wilde Geschichte(n) 野史. Oder: Von der Macht der Stille(n)—Gedanken zur Politik in China"

Im chinesischen Kaisserreich unterschied man Geschichte in einer „rechten“, also orthodoxen 正史 zhengshi und einer „wilden“ Variante,  野史 yeshi. Der Herrscher allein bestimmte darüber. Die Aufgabe seiner Zensoren einerseits — der so genannten "reinen Beamten" qingguan  清官 — und des Volkes andererseits war es, in Text, Musik, und Kunst immer auch kritische Alternativen aufzuzeigen.

Ein guter Herrscher zeichnete sich dadurch aus, dass er den „Weg der Rede“ 言路 für solche Ideen offen hielt — und also auch bereit war, Remonstrierende anzuhören. Wenn ein Herrscher dies nicht tat, war es "richtig, zu rebellieren" zaofan you li  造反有理, denn in einem solchen Fall hatte er sein "Mandat des Himmels" tianming  天命 verwirkt. Doch nicht alle hielten sich daran, und so brachte der Zensor gewöhnlich seinen eigenen Sarg zur Übergabe seiner Remonstrationsschrift mit, die Kunst andererseits, erging sich in möglichst obskuren Anspielungen oder nutzte Elemente des Nichts-Sagens, der Stille, um Kritik zu formulieren.

Wie aktuell solche Gesten und Szenarien auch unter der Kommunistischen Partei Chinas heute sind, darum soll es in diesem Vortrag gehen: Man erkennt das zum Beispiel an der Veröffentlichung einer dritten Resolution zu Fragen der chinesischen Geschichte durch Xi Jinping vor einigen Wochen — einer neuen Version „rechter“ Geschichte. Man erkennt es aber auch an wiederholten Aufrufen — nicht erst in der anhaltenden Corona-Krise — gegen die zunehmend repressiven Maßnahmen der chinesischen Regierung, die denjenigen, die remonstrieren oder „wilde Geschichten“ produzieren wollen, den "Mund versiegeln" 封口 fēng kǒu.

Eine vielbachtete Skulptur von Wang Keping (王克平, *1949) mit dem Titel 沉默 Chenmo “Versinken (chen) in Stille (mo)” ist Ausdruck dieser Haltung: Sie zeigt einen Kopf, dem der Mund geknebelt und das Auge blind geschlagen ist – auf dass er nicht mehr sehe, spreche, hinterfrage. 1979 entstanden, ist die Skulptur gleichzeitig Reflektion auf die gerade vergangene Kulturrevolution, eine Zeit, in der der Weg der Rede wohl am heftigsten in der chinesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts blockiert wurde — auch wenn Mao Zedong das „Recht zu rebellieren“ hochgehalten hatte — und gleichzeitig Teil jener Bewegung, die im Rahmen der post-maoistischen Reformen eine 5. Modernisierung — die Demokratie — forderte, eine Forderung, die bis heute nicht eingelöst wird.

Und doch besiegt immer wieder die Wut die Angst (愤怒的人民已不再恐惧) — so der Titel einer Remonstration des mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilten Juristen Xu Zhangrun許章潤 (1962-) und darum soll es in diesem Vortrag gehen. Xus Remonstration, die am 4. Februar 2020 online erschien, spielt mit einem alten Gedicht von Du Mu 杜牧 (803-852), das den "Volkszorn" und die "Hybris des (überheblichen) Autokraten" und seinen "vereitelten kaiserlichen Ehrgeiz" kritisiert. Xu beklagt, dass die Regierung zwar versuche, wichtige Stimmen (wie die von Li Wenliang, des Arztes der bereits im Dezember 2019 vor den Gefahren des unbekannten Virus gewarnt hatte) zum Schweigen zu bringen, und dass es nur allzu häufig vorkomme, dass die Menschen angesichts der Unterdrückung ihre Stimme verlören 失声 shī shēng, ist aber optimistisch, dass es immer weiter noch diejenigen geben werde, die es "wagten, ihre Meinung zu sagen" 敢言 gǎn yán. Von der ungebrochenen Macht dieser Stille(n) in Chinas langer Geschichte handelt der Vortrag.

Weitere Programmpunkte der Jahresfeier: Rechenschaftsbericht durch den Präsidenten und Preisverleihung der gestifteten Preise.

 

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