Wie wird autonomes Fahren unseren Alltag verändern?

Publikumsfoto der Konferenz "Autonomes Fahren". Das Foto ist aus den hinteren Reihen des Publikums aufgenommen und Richtung Bühne fotografiert. In dem abgedunkelten Saal, der von blauen Lichtern an der Seite beleuchtet wird sitzt das Publikum und schaut zu einer Podiumsdiskussion auf der Bühne hinauf. Hinter den Diskutant*innen wird eine PowerPoint angestrahlt.
Podiumsdiskussion und Unterhausdebatte im ZKM/Karlsruhe

 

Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften veranstaltete in Kooperation mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) und dem Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) am 23. September 2019 eine öffentliche Diskussion zum Thema „Wie wird autonomes Fahren unseren Alltag verändern?“. Die Veranstaltung im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Künstliche Intelligenz“ fand im Medientheater des ZKM in Karlsruhe statt, das mit etwa 170 Besuchern fast vollständig besetzt war. Der Ort Karlsruhe war bewusst gewählt worden, da dort seit 2018 das Testfeld Autonomes Fahren erprobt wird, d.h. vernetztes und autonomes Fahren im realen Straßenverkehr bereits Alltag ist, und die Heidelberger Akademie der Wissenschaften hier als Landesakademie von Baden-Württemberg in Erscheinung treten konnte.

Spiritus Rector war Matthias Kind, der auch die Begrüßung übernahm. Als Vorstandsmitglied der Heidelberger Akademie stellte er kurz die wissenschaftliche Landesakademie von Baden-Württemberg vor und erwähnte dabei den fruchtbringenden fachübergreifenden Austausch unter den Mitgliedern bei ihren regelmäßigen Treffen. Genau dies sollte auch – nur diesmal in und mit der Öffentlichkeit – bei dieser Abendveranstaltung geschehen: „Wir wollen uns über ein aktuelles und uns alle interessierendes Thema informieren und interdisziplinär aus unterschiedlichen Blickwinkeln darüber diskutieren.“ An dieser Stelle erläuterte Kind auch das Format der Veranstaltung: zwei Impulsvorträgen folgte eine Podiumsdiskussion bei der sich das Publikum in Form einer Unterhausdebatte aktiv beteiligen konnte. Frei nach dem Motto »The ayes to the right, the noes to the left« wurde wie im britischen Unterhaus diskutiert, indem sich das Publikum – je nach Befürwortung oder Ablehnung – auf die zwei Seiten im Saal verteilte.

Den ersten Impulsvortrag übernahm Karl-Heinz Streibich, Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, indem er über „Künstliche Intelligenz (KI) als Baustein für Autonomes Fahren“ sprach. Er hob darin vier Kernpunkte hervor: die Vernetzung aller Verkehrsteilnehmer, die Automatisierung, Shared Mobility (dass beispielsweise über eine App Fahrzeuge nach Bedarf bestellt und somit geteilt werden können) und als letzten Punkt Elektrifizierung. Er betonte die immensen Herausforderungen für das Mobilitätssystem der Zukunft und die große Rolle, die KI dabei spielt. Exemplarisch nannte er dynamische Fahrspuren, intelligente Ampelschaltung, Sharing-Flotten und intelligente Parkraumkonzepte.

Mit Armin Grunwald trat ein Experte für Technikfolgen-Abschätzung und Technikphilosophie zum zweiten Impulsvortrag vor das Publikum. Er machte deutlich, dass noch sehr viele ethische und rechtliche Fragen geklärt werden müssen, beispielsweise zur Verantwortung bei einem Unfall. Auch sah er in der Zukunft nicht den plötzlichen Wandel, sondern den Mischverkehr aus konventionellen und autonomen Fahrzeugen.

Beide Referenten diskutierten anschließend auf dem Podium mit weiteren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft. Alexander Pischon, Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds, der auch an dem Testfeld Autonomes Fahren in Karlsruhe beteiligt ist, zeigte sich optimistisch, dass sich autonome Fahrzeuge durchsetzen werden. Insbesondere durch die Vernetzung mit dem ÖPNV sieht er die Vorteile in der Verringerung des Individualverkehrs, was zur Entlastung der Umwelt, weniger Staus und Unfällen beiträgt.  Er kann sich in der nahen Zukunft Minibusse vorstellen, die individuell - also „on demand“ - bestellt werden können. Kontrovers diskutiert wurde am Beispiel des Osloer Konzepts, das nur noch Shuttles für die Innenstadt zulässt, wie der Verkehr in den Städten grundsätzlich verbessert werden kann.

Eric Sax vom KIT, Experte für Autonomes Fahren, hob insbesondere hervor, dass es immer eines Geschäftsmodells bedürfe, um die gegenüber dem konventionellen Fahren erhöhten Kosten für automatisiertes oder gar autonomes Fahren zu rechtfertigen: „Der Business Case muss stimmen!“ Darüber hinaus sah er zukünftig einen deutlich langsameren Verkehr in Städten. Dies sei vor allem wegen des Sicherheitsaspekts anzunehmen.

Ebenfalls vom KIT diskutierte die Wissenschaftlerin Barbara Deml mit. Sie forscht zur Mensch-Maschine-Interaktion. Ihre Prognose für die Zukunft lautete, dass sich viele Verkehrsteilnehmer nur ungern oder gar nicht auf Sharing-Modelle einlassen würden. Dies würde schon die hohe Anzahl an Privatfahrzeugen zeigen.

Dem stimmte der Philosoph Andreas Urs Sommer zu und machte dies an den Besitzern von Luxusautos deutlich, die schon geradezu eine „erotische“ Beziehung zu ihrem Auto pflegen. Das Auto als Statussymbol und der Fahrspaß fielen z.B. bei den Mobilitätskonzepten der Zukunft schließlich weg.

Das Format der Veranstaltung, nämlich Impulsvorträge mit einer Podiumsdiskussion und einer „Unterhausdebatte zu verbinden, hat sich sehr bewährt und führte zu einer kurzweiligen und dennoch sehr informativen Gesamtdiskussion. Vereinzelte Personen aus dem Publikum wurden nach Gründen für ihre jeweilige Entscheidung gefragt. Dieser aktive Einbezug verlieh der Veranstaltung eine hohe Dynamik mit großem Unterhaltungswert, was nicht zuletzt der Moderation von Markus Brock zu verdanken war, der sehr kompetent mit den richtigen Fragen durch die Veranstaltung führte.

Nach zweieinhalb Stunden Diskussion war klar, dass es noch viele offene Fragen zu diesem Themenkomplex gibt und erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Dennoch wurde der Status quo jetziger Überlegungen und technischer Möglichkeiten für autonomes Fahren und Mobilitätskonzepte der Zukunft deutlicher. Die Frage nach der zeitlichen Dimension, wann also diese Zukunftsvisionen reale Gestalt annehmen könnten, blieb insofern offen, da es sich um einen schleichenden Prozess und nicht um plötzliche Veränderungen handelt. Abschließend zeichnete sich ganz deutlich ein positiver Trend zum autonomen Fahren ab: Die große Mehrheit des Publikums sieht in den zukünftigen Mobilitätskonzepten eher Chancen denn Risiken, ist selber bereit autonom fahrende Fahrzeuge zu nutzen und ist davon überzeugt, dass es bereits in zehn Jahren voll autonome Fahrzeuge nicht nur auf speziell dafür vorgesehenen Strecken im Alltag geben wird.