Zwei neue Projekte für die Heidelberger Akademie der Wissenschaften

Karte von romanischen Ländern mit Grafik zu Wissensnetzen, darüber mittelalterliche Handschrift und Figuren aus Buchmalerei
Projekte leisten wichtigen Beitrag zur Erschließung des kulturellen Erbes Europas und Asiens

Zwei neue Projekte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften wurden in das von Bund und Ländern geförderte Akademienprogramm aufgenommen, das von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert wird. Das Akademienprogramm ist das größte geisteswissenschaftliche Forschungsprogramm Deutschlands. Beide Forschungsvorhaben nehmen die Arbeit zum 1. August 2022 auf.

Hinduistische Tempellegenden in Südindien (Hindu Temple Legends in South India)

Das neue Projekt „Hindu Temple Legends in South India“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften wird von Prof. Dr. Ute Hüsken (Universität Heidelberg) geleitet. Es werden Arbeitsstellen in Heidelberg und Pondicherry (Indien) in Kooperation mit der École Française d’Extrême-Orient (EFEO) eingerichtet. Das Forschungsvorhaben ist mit einer jährlichen Fördersumme von 400.000 Euro auf eine Gesamtlaufzeit von 16 Jahren ausgelegt.

Die südindische Tempelstadt Kanchipuram gilt seit Jahrhunderten als eine der heiligsten Stätten des Hinduismus. Ihre Bedeutung für hinduistische Religiosität wird in einer Vielfalt von mythologischen Erzählungen begründet, die seit dem Mittelalter als schriftliche Texte überliefert werden, sich aber auch in den Tempelarchitekturen, der Ikonographie, Inschriften, der materiellen Kultur, Ritualen und mündlichen Erzählungen der Stadt niederschlagen. Auch für die heute gelebten hinduistischen Traditionen sind diese Narrative von zentraler Bedeutung. Das Projekt ‚Hinduistische Tempellegenden in Südindien’ wird die unterschiedlichen Überlieferungsformen vollständig aufspüren, digital erfassen und in einer Datenbank vereinen. Dies erlaubt ein neues Verständnis dieses wichtigen kulturellen Erbes sowohl in seiner historischen Tiefe als auch in seiner gelebten Realität. Die zentrale Grundlage der Datenbank werden die flexiblen digitalen Editionen der Tempellegenden, die vor allem als Palmblattmanuskripte in der Gelehrtensprache Sanskrit und der Lokalsprache Tamil in südindischen Bibliotheken noch der Erschließung harren. Diese Editionen samt der englischen Übersetzungen der Legenden werden digital mit der aufgearbeiteten Dokumentation der relevanten Tempelarchitektur und Ikonographie sowie der Rituale und mündlichen Überlieferung zusammengeführt, um so diese wichtigen Formen hinduistischen Kulturerbes zu bewahren und gleichzeitig neue Formen des analytischen Zugangs zu initiieren.

Sprachdatenbasierte Modellierung von Wissensnetzen in der mittelalterlichen Romania (ALMA)

ALMA ist ein interakademisches Projekt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (HAdW), der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (AdW Mainz). Unter der Leitung von Prof. Dr. Maria Selig (BAdW), Seniorprof. Dr. Dres. h.c. Wolfgang Schweickard (AdW Mainz) und Dr. Sabine Tittel (HAdW) werden drei Arbeitsstellen in Heidelberg, München und Saarbrücken mit insgesamt sechs Beschäftigten eingerichtet. Bei dem Projekt wechseln sich die Arbeitsstellen mit der Federführung ab. Zu Beginn wird es die Heidelberger Akademie sein. Die Gesamtlaufzeit ist auf 22 Jahre ausgelegt und das jährliche Fördervolumen umfasst 455.000 Euro.

ALMA zielt darauf ab, die Wechselwirkung zwischen Sprache und Wissen(schaft) im romanischen Kulturraum zu untersuchen, in dem im Mittelalter neue volkssprachliche Wissensnetze entstehen und die Sprachen (Altfranzösisch, Altitalienisch etc.) zu fachlich komplexen Wissenssprachen ausgebaut werden. Mit den Wissenssprachen werden ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Erbes Europas und ein bedeutender Träger des kulturellen Austauschs in den Fokus gerückt, der im Mittelalter die europäische Identität als Wissensgesellschaft begründet. Das Projekt kombiniert Methoden der Linguistik, Textphilologie und Wissen(schaft)sgeschichte mit den Technologien der Digital Humanities und des Ontology Engineering. Es erarbeitet Handschrifteneditionen zu den exemplarischen Domänen ‚Medizin‘ und ‚Recht‘ und untersucht auf dieser empirischen Basis zentrale Konzepte und Begrifflichkeiten der einzelnen Wissensbereiche. Die historisch-philologischen Forschungsergebnisse werden für die Integration in das Semantic Web in Linked Open Data und in sprachunabhängige, historisierte Ontologien überführt, die nicht die moderne Welt abbilden, sondern der Spezifik mittelalterlicher Erklärungsmuster Rechnung tragen werden. Dies erweitert den potenziellen Nutzerkreis der Ontologien weit über den speziellen Bereich der Romanistik hinaus auf alle historisch arbeitenden Wissenschaften und spiegelt die wissensgeschichtliche Zielsetzung und interdisziplinäre Relevanz des Projekts.

Das gemeinsame Forschungsprogramm der deutschen Wissenschaftsakademien – das Akademienprogramm – dient der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung unseres kulturellen Erbes. Es ist derzeit das größte geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungsprogramm Deutschlands und ist international einzigartig. Seit 1979/80 wird es von Bund und Ländern gemeinsam finanziert. Innerhalb des von der Akademienunion koordinierten Akademienprogramms bearbeiten ca. 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insgesamt rund 150 Projekte in knapp 200 Arbeitsstellen. Mit den in den Forschungsstellen erarbeiteten Editionen, Wörterbüchern und Textcorpora schaffen die Akademien zentrale Wissensspeicher für die Zukunft, die Wissenschaft und Öffentlichkeit – zunehmend auch digital – zur Verfügung stehen.