
In Folge seiner territorialen Ausweitung und Herausbildung als Nationalstaat erlebte Nepal im 18. und 19. Jahrhundert eine ungewöhnlich schnelle und umfangreiche Zunahme in der Herstellung von Urkunden und Dokumenten. In der staatlichen Verwaltung, in Tempeln, in der Rechtsprechung und dem Wirtschaftsleben erreichte die Verschriftlichung eine neue Qualität.
Das Forschungsprojekt „Religions- und rechtsgeschichtliche Quellen des vormodernen Nepal“ widmet sich der Erforschung dieses vielfältigen historischen Materials aus Tempel-, Verwaltungs- und Rechtsdokumenten. Als einziges größeres nicht-koloniales Dokumentenkorpus ist dieses für Südasien von besonderem historischen Interesse.
Ziel des in Heidelberg und Patan (Nepal) ansässigen Forschungsprojekts ist es, dieses einzigartige Korpus systematisch zu untersuchen und ausgewählte Dokumente in Edition, Übersetzung und Kommentar zu veröffentlichen. Im Zentrum steht dabei der Aufbau einer öffentlich zugänglichen Datenbank – ein Novum in der Erforschung südasiatischer Dokumente. Gleichermaßen werden die bearbeiteten Dokumente im Lichte übergeordneter kulturgeschichtlicher Fragestellungen untersucht, wie der Entwicklung von Elitekulturen, der Legitimation und Inszenierung von Herrschaft, Formen von Religionspolitik, der Kodifizierung von Recht und der Herausbildung öffentlicher Ordnung. Dadurch kann ein facettenreiches Bild der sozio-kulturellen Transformationsprozesse Nepals vom späten 18. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeichnet werden.
Das Material
Grundlage der Forschungen bilden Archivalien des nepalischen Nationalarchivs (Rashtriya Abhilekhalaya, Kathmandu) und anderer staatlicher Organisationen, die von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) im Rahmen des Nepal-German Manuscript Preservation Project (NGMPP) mikrofilmiert, bislang aber nur ansatzweise katalogisiert wurden und bis auf wenige Ausnahmen weder in Edition und Übersetzung vorliegen noch eingehend wissenschaftlich bearbeitet wurden. Aufgrund eines bilateralen Abkommens zwischen der Königlichen Regierung Nepals und der Bundesrepublik Deutschland lagern Kopien der Mikrofilme im Nationalarchiv Nepals und der Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). In enger Zusammenarbeit mit den Institutionen soll im Rahmen des Projekts der Gesamt bestand des NGMPP von über einhunderttausend historischen Dokumenten, der bislang von Katalogisierungsmaßnahmen explizit ausgeschlossen war, erstmals sukzessive katalogisiert und digitalisiert werden. Das Projekt leistet damit zugleich einen substantiellen Beitrag zum Erhalt der für Südasien wohl einzigartigen Mikrofilmsammlung des NGMPP.

Neben dem vom NGMPP verfilmten Material sollen im Laufe der Zeit auch Dokumente aus weiteren Sammlungen einbezogen werden (z.B. Asha Archive, Kathmandu; Hodgson-Collection, London). Das Dokumentenkorpus ist äußerst vielfältig. Es umfasst u.a. Tempeldokumente (Erlasse, Landschenkungen, Verträge, Stiftungsurkunden, Briefe etc.) und Rechtsdokumente (Urteile bezüglich sittlichen Verhaltens, Ablassbriefe, Kastenregulierungen). Dieses Material wird nicht nur katalogisiert, sondern mit Hilfe der Datenbank auch inhaltlich erschlossen. Erste Einblicke zeigen bereits das inhaltliche Potential der nepalischen Dokumente, das wohl Betätigungsfelder für ganze Forschergenerationen liefern kann. Der zeitliche Schwerpunkt des Projekts liegt auf der frühen Śāha (1769–1846) und Rāṇā-Periode (1846–1951) – auf Nepals „langem 19. Jahrhundert“.
Forschung
Das Dokumentenkorpus bietet großes Potential für philologische ebenso wie für kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Um dieses breite Spektrum möglichst optimal zu nutzen und durch Beispiele darzustellen, arbeiten die einzelnen Mitarbeiter – je nach Vorkenntnissen und wissenschaftlichen Schwerpunkten – zu unterschiedlichen Forschungsthemen, z.B. Elitekulturen, die Herausbildung öffentlicher Ordnung und staatlicher Verwaltung, Festen, Tempeln und anderen religiösen Stätten, Gottheiten etc.; zu den Forschungsthemen, s. hier.