
Das Projekt
Die menschliche Evolution ist eine Geschichte kultureller Entwicklung und Ausbreitung. Bereits vor mehr als drei Millionen Jahren fertigten Hominine die ersten Steinwerkzeuge mit Schneidekante an, erweiterten damit die bis dahin übliche Werkzeugpalette und ermöglichten letztendlich den modularen Einsatz mehrerer Werkzeuge. Drei Faktoren trafen zusammen, um einen kulturellen Wirkungskreis zu erzeugen, der nach wie vor die Grundlage für unseren Umgang mit der Welt bildet: die Intensivierung und Differenzierung unseres materiellen und sozialen Engagements, die Interaktion mit der Umwelt, sowie ein verstärktes Bedürfnis die Welt zu verstehen.
Die Geschichte der menschlichen Kulturentwicklung entfaltete sich in drei voneinander abhängigen Expansionsereignissen: Expansion der Performanz, Expansion des Ressourcenraums und Expansion des Lebensraums. Die Expansion der Performanz, ausgedrückt in den miteinander verbundenen Veränderungen von Körper, Geist und Verhalten, interagiert dabei eng mit der Expansion des Ressourcenraumes. Die Nutzung von Werkzeugen erschloss den Zugang zu neuen Ressourcen und schuf gleichzeitig neue Bedürfnisse, Möglichkeiten und Einschränkungen, sowohl für den Menschen als auch für seine Umwelt. Das Netzwerk von Beziehungen zu und der Wechselwirkungen mit Umweltfaktoren (Artgenossen, Rohstoffen, Artefakten, u.a.) nahmen im Laufe der menschlichen Evolution enorm zu und führten zu einem dichten Spektrum kultureller Leistungen in einer Vielzahl von Umgebungen.
Im Zeitraum zwischen 3 und 2 Millionen Jahre vor heute konzentrierte sich die menschliche Entwicklung auf den afrikanischen Kontinent. In den darauf folgenden zwei Millionen Jahren breitete sich die Gattung Homo in mehreren Wellen von Afrika in Richtung Asien und Europa aus. Neue Arten bildeten und vermischten sich, während alte Gruppen verschwanden. Dies stellt den dritten Ausbreitungstyp dar, die Expansion des Lebensraums, und ist eng mit den beiden anderen Typen Expansion der Performanz und Expansion des Ressourcenraums verknüpft.
Die Aufgabe der Forschungsstelle "The Role of Culture in Early Expansions of Humans" (ROCEEH) besteht darin, ein systemisches Verständnis der "Menschwerdung" zu entwickeln, das die 3 Arten der Expansion, ihre Verbindungen untereinander und die verschiedenen Entwicklungsdimensionen integriert. Das Projekt umfasst den Zeitraum von 3 Millionen Jahren bis 20.000 Jahre vor heute und umspannt das Gebiet von Afrika bis Eurasien. Dabei liegt der Fokus primär auf der Entwicklung menschlicher kultureller Fähigkeiten sowie auf deren Hintergrund und Merkmalen.
ROCEEH ist ein multidisziplinäres Forschungsprojekt (Laufzeit von 2008 bis 2027) an der Schnittstelle zwischen Kultur- und Naturwissenschaften. Dieses umfassende Projekt besteht aus einem Team von Kulturwissenschaftler*innen, Archäolog*innen, Paläoanthropolog*innen, Paläobiolog*innen, Geograf*innen und einer Datenbankspezialistin am Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt und an der Universität Tübingen.
Hintergrund
Die Forschungsstelle ROCEEH ist wesentlicher Bestandteil des Akademienprogramms "Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung weltweiter kultureller Überlieferungen" der Union der Akademien. Unsere Arbeit basiert direkt auf dem expliziten Auftrag des Akademienprogramms, "...unser kulturelles Erbe zu entdecken und zu erforschen, es in der Gegenwart zugänglich zu machen und seine Bedeutung für die Gegenwart hervorzuheben und es für die Zukunft zu bewahren".
ROCEEH entdeckt, kontextualisiert und bewahrt die Vergangenheit des kulturellen Erbes der Menschheit. Die Forschungsstelle erforscht die Geschichte der Menschheit in o.g. Zeitraum mithilfe der Entwicklung kultureller Konzepte, die eine Untersuchung, wie sich menschliche Kultur entwickelt hat, zu ermöglichen. ROCEEH befasst sich mit den Fragen im Zusammenhang mit dem, was wir unter "Menschwerdung" verstehen. Dieser Ansatz wird durch Feldforschung an relevanten Fundstellen hervorgehoben, um die markanten Muster des frühen kulturellen Wandels zu dokumentieren. ROCEEH macht die Vergangenheit unseres kulturellen Erbes zugänglich, indem es Daten über archäologische Fundstätten und die damit verbundenen Fossilgesellschaften (assemblages) zusammenträgt. Diese systematisch gesammelten Daten werden in der ROCEEH Out of Africa Database (ROAD) archiviert, die derzeit Informationen von mehr als 2.100 Stätten und 13.000 Assemblages enthält, die auf der Durchsicht von über 3.900 Artikeln, Büchern, Dissertationen und Berichten in vielen Sprachen basiert (Stand Juli 2021). ROCEEH nutzt diese einzigartige Datenbank, um den Reichtum der kulturellen Vergangenheit des Menschen zu erforschen und ihre Relevanz für die Gegenwart durch gezielte Fallstudien sowie durch wissenschaftliche und öffentliche Aufklärung hervorzuheben. Die Forschungsstelle bewahrt die Vergangenheit des kulturellen Erbes der Menschheit für die Zukunft, indem es einen langfristigen Katalog bereitstellt, der alle in ROAD gespeicherte Stätten zusammenfasst. Die hieraus erstellbaren Berichtsdatenblätter bieten einen systematischen Überblick über die archäologischen Stätten mit Einzelheiten über ihre Geographie, Datierung, Stratigraphie, kulturellen Überreste, Paläoanthropologie, Paläoökologie und Bibliographie.