Die Doktoranden der Forschungsstelle werten die Datenbestände zu einzelnen Briefwechseln in ihren Dissertationsvorhaben aus. Dabei liegt ein Forschungsschwerpunkt auf den Motiven konfessioneller Polemik, den Mechanismen der Konfessionalisierung sowie der Profilierung innerprotestantischer Differenzlehren im Werk wichtiger Vertreter der Kontroverstheologie in Württemberg, der Kurpfalz sowie in Straßburg.
Laufende Dissertationsprojekte:
Konfessionswechsel im Diskurs.
Der Einfluss Württemberger und Straßburger Theologen auf die konfessionellen Veränderungen in der Kurpfalz und die Auswirkungen auf die lutherische Konfessionalisierung [Arbeitstitel]
Marcel Böhme
Die Kurpfalz war im 16. Jahrhundert mehrmals einem Konfessionswechsel ausgesetzt. Unter Kurfürst Friedrich III. bildete sich im Südwesten des Reichs ein Zentrum des Reformiertentums mit europäischer Vernetzung. Bedeutsam für die Konfessionalisierung ist jedoch auch die sich anschließende lutherische Phase (1576–1583) unter Kurfürst Ludwig VI., da sich in dieser Zeit die protestantischen Zentren im Südwesten in der konfessionellen Frage annäherten. Gleichzeitig gelang es, das Reformiertentum in neuer Konstellation zu bewahren.
Auf Grundlage der im Zuge des Forschungsprojektes erstmals erschlossenen Briefwechsel und weiterer Schriften werden in der Dissertation die konfessionellen und kirchenpolitischen Prozesse in der Kurpfalz analysiert. Im Fokus steht die Rolle zentraler Akteure wie der Hofprediger, Superintendenten und Professoren. Daneben gilt das Interesse dem Einfluss der führenden Württemberger (u.a. Bidembach und Andreae) und Straßburger (u.a. Johannes und Philipp Marbach) auf die Kurpfalz. Durch die Erforschung der Netzwerke soll ein Beitrag zur konfessionellen Identitätsbildung auf lutherischer und reformierter Seite in diesem Zeitraum geleistet werden.
„Concordia et Confessio“
Die Vermittlungstätigkeit des lutherischen Theologen Jakob Andreae [Arbeitstitel]
Stefan Aderhold
Ohne Zweifel spielt Jakob Andreae für die lutherische Konfessionalisierung eine tragende Rolle. Dennoch gibt es nur wenige Beiträge, die sich ausführlich mit seinem Leben und seiner Wirkung beschäftigen. Zudem kommen diese zu gegensätzlichen Bewertungen seiner Mitwirkung an konfessionsbildenden Prozessen. Während einige seine kompromisslose Härte in den Konfliktsituationen seiner Zeit betonen, heben andere seine pragmatische Offenheit hervor. Beide Perspektiven vereinigen sich in der Ambiguität seiner Person. Zum einen versuchte er, tiefgreifende Dissensen als Wortstreit herunterzuspielen, zum anderen verteidigte er leidenschaftlich, was für ihn den Kern theologischer Wahrheit ausmachte. Dieser Forschungsbeitrag wird seine Verhältnisbestimmung von concordia und confessio in unterschiedlichen Konfliktlagen und ihre Bedeutung für die lutherische Konfessionalisierung untersuchen. Aufgrund des dialogischen Charakters seiner Theologie wird seine Korrespondenz dabei besonders berücksichtigt.
„Politica Christiana“
Die Politische Theologie des Johannes Brenz (1499-1570) [Arbeitstitel]
Theresa Möke
Dass Fürsten „regiren sollen nach dem wort Gottes, nit nach aigner vernunfft“ schreibt der württembergische Theologe Johannes Brenz (1499-1570) und macht dies zum erklärten Ziel seines politischen Wirkens. Als junger Heidelberger Student begegnete er 1518 Martin Luther, begeisterte sich sofort für dessen Thesen und „brennt“ seither für die Reformation, die er im Südwesten des Reiches schon bald entscheidend mitgestaltet. Als politischer Denker und Politikberater erwirbt sich der Theologe dabei ein ausgesprochen markantes Profil. Von protestantisch gesinnten Fürsten um Rat gebeten, erarbeitet Brenz im Rekurs auf biblische Traditionen neue Ideen und Konzepte zur Gestaltung guter Herrschaft.
Auf Grundlage der im Akademie-Projekt „Theologenbriefwechsel“ ab 2017 neu erschlossenen Quellen leuchtet die Dissertation aus, wie sehr Brenz das Politische prägte und welche Normen und Werte er zur Ausgestaltung guter Herrschaft formulierte. Das Forschungsdesiderat einer systematischen Aufarbeitung von Brenz‘ politischem Wirken und Denken soll damit geschlossen werden.
Abgeschlossene Dissertationsprojekte:
„Daraus kündten auch die Graeci lärnen“
Die Bemühungen des Martin Crusius (1526-1607) um ein Luthertum der Griechen
Paul A. Neuendorf
Die Dissertationsschrift untersucht die schriftlichen und praktischen Bemühungen des Tübinger Gelehrten Martin Crusius, die lutherische Lehre unter den griechisch-orthodoxen Christen zu verbreiten. Während des Kontakts der württembergischen Landeskirche mit dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel 1573-1581 erklärte es Crusius zu seinem persönlichen Ziel, einerseits das Luthertum unter den Griechen zu verkünden, und andererseits dem griechischen Bildungssystem zu neuer Blüte zu verhelfen. Der Tübinger Professor verfasste und erstellte hierzu insgesamt sieben Werke für die religiöse Praxis, den theoretischen Unterricht und für die konfessionelle Abgrenzung. In der Untersuchung wird anhand der vollständigen Auswertung des Tagebuchs von Crusius eingehend beleuchtet, mit welcher Beharrlichkeit der Professor der artistischen Fakultät über Jahrzehnte hinweg trotz unzähliger Widrigkeiten dieses Anliegen verfolgte und welche praktischen Missionsversuche er unternahm, wenn Griechen ihn in Tübingen aufsuchten.
Zudem wird mit der Dissertation die Ersteditionen von 54 lutherischen, von Crusius ins Griechische übersetzten Liedern und weiteren 24 zentralen Texten geboten.
Die Dissertation ist 2022 erschienen (siehe Publikationen).